Das Plüschpferd
Die Leiterin eines Kindergarten schickte mir winters eine E-Mail, sie habe ein Pferdchen, das in Kur müßte. Eine Besucherin habe es ihr geschenkt und sie konnte nicht nein sagen. Beim Besuch gab es die erste Überraschung, das „Pferdchen“ hatte doch eine stattliche Größe und war in einem stark verbesserungsfähigen Zustand. Also war die erste Aufgabe, das Ding überhaupt erstmal in den Diesel zu bekommen. Kopfüber ging es dann. Da abzusehen war, daß es nicht in die Werkstatt paßt, kam es zunächst in den Pavillon in unserem Garten. Dann kam der Winter heftig. Irgendwann gab es dann wieder Plusgrade und eine Bestandsaufnahme stand an.
Der Zustand war ernüchternd. Die Bezüge der Hinterbeine fehlten, die Polsterung ebenso. Da ist wohl ein kleiner Reiter gerne über die Hinterbeine aufgestiegen. Der Stoff des Hauptbezuges war zerlöchert und da er sich hinten löste, hat jemand das Stück abgeschnitten. Die Polsterung des gesamten Pferdes war marode, aus den Bezügen der Vorderläufe rieselte gelber Brösel. Die Satteldecke war löchrig, der Bezug des Schweifs abgerissen. Also runter mit dem ganzen Kram. Dabei wurden die Hände immer grauer, da das Pferdchen wohl lange Zeit eingelagert war. Alle Plüschteile kamen in einen Wäschekorb, die Beste von Allen legte dann netterweise eine Sonderschicht mit unserer Miele in der Waschküche ein. Dadurch ließ sich ganz gut ermitteln, wie mürbe der Plüschbezugsstoff geworden war.
Die Polsterteile kamen in einen weiteren Korb, da sie noch für den Zuschnitt der neuen Teile benötigt wurden. Dabei stellte es sich heraus, daß zur Befestigung der Schaumgummiteile seinerzeit eine Heftzange verwendet wurde, eine Menge Heftklammern galt es herauszubrockeln. Die Bezüge der Vorderbeine konnten erst abgenommen werden, nachdem die Lenkung und die Vorderachse ausgebaut waren. Nun stand die Ersatzteilbestellung an und nach etwas Rechnen und Messen waren notwendig:
2qm Schaumgummiplatte 10mm Stärke, 2qm Plüschstoff braun mit 13mm Florlänge, eine neue Satteldecke und eine Heftzange mit 70mm Einhefttiefe ( um überall ran zu kommen )
Die Bestellungen waren abgeschickt, nun ging es mit den Trümmern weiter. Ein Auslegen des Plüschbezugs (Flor unten) zeigte, daß eine Menge Löcher und Risse im Trägermaterial existierten, die durch den Flor überdeckt waren. Außerdem waren alle Gummizüge defekt, die den Bezug auf dem Gestell in Form hielten. Früh an einem Abend mit unterirdischem Fernsehprogramm wurde dann die Stopfnadel mit Stopfgarn in Stellung gebracht und....Danke Mama, daß Du mir schon in früher Jugend gezeigt hast, wie man Socken stopft. Nach dem Spätfilm sah der Bezug dann schon besser aus:
Am Bezug ist noch ein Stück Fell als Mähne befestigt. Nach dem Waschen und Trocknen des Bezugs war das Leder der Mähne sehr hart. Pflegemittel und umfangreichen Kneten des Leders machte es wieder einigermaßen geschmeidig. Nun ging es an das Ergänzen des Bezugs mit neuem Plüschstoff. Das ist gar nicht so einfach, denn der Flor hat auf dem Stoff eine bestimmte Richtung, das beeinflußt den Zuschnitt und die Verarbeitung. Nach einigen Rückschlägen klappte das dann ganz gut. Das fehlende Stück hinten am Bezug wurde mit einer Schablone von der anderen Seite übertragen. Die Bezüge der Hinterbeine wurden berechnet ( Maß des Stahlrohrs plus Drahtkonstruktion plus Polsterung ). Da von der Verkleidung des Schweifes nurmehr ein kleines Stück Fell vorhanden war, gab's noch einen neuen Bezug für die Drahthalterung. Das Ding sieht jetzt zwar aus wie ein Kuhschwanz, aber wer versucht, ein Stück Fell mit langen Haaren aufzutreiben, versteht diese Lösung.
Schon mal nicht schlecht. Dann mal ran an die Polsterung. Die Stücke lagen noch im Wäschekorb, mußten jedoch sehr vorsichtig behandelt werden, da sie sonst einfach zerbrechen würden. Aber sie waren ja Vorlage für die neuen Ausschnitte.
Nachdem alle Teile ausgeschnitten und nachgebildet waren, ging es an das Aufpolstern des Gestells. Dazu wurde zunächst der lockere Rost von den Blechen abgeschmirgelt, denn die verkleideten Bereiche des Gestells waren weder grundiert noch gestrichen. Zur Befestigung der Schaumstoffteile wurde Kontaktkleber von UHU verwendet, Pattex ginge aber auch. Der Vorteil liegt darin, daß der Kleber, mit einem Pinsel aufgetragen, sehr schnell trocknet und damit interaktiv einsetzbar ist. Auch leistete die Heftzange hier gute Dienste.
Nun kam die Nagelprobe, ob der Bezug über die Polsterung paßt und sich das Ganze in Form bringen ließ. Dabei braucht man etwa fünf Hände gleichzeitig, um den Bezug derart zu richten, daß die Öffnungen für Bremse, Zaumzeug und Lenkung an die richtige Stelle kommen. Nachdem das so etwa stimmte, wurde die Polsterung für die Beine und deren Bezüge eingebaut. Nun konnten die „Front-“ und “Heckverkleidung“ wieder eingenäht werden. Dann wurden die Achsen und die Lenkung wieder montiert und mit neuen Splinten gesichert. Als nächstes folgten die neue Satteldecke, die Augen, das Zaumzeug und der Sattel, der durch einen kräftigen Kunststoffreiniger den Zahn der Zeit hinter sich ließ. Abschließend wurden noch die Züge für die Bremsen erneuert und das „Pferdchen“ hatte die Kur überstanden.
Dann wurde es Zeit, das Spielzeug wieder auszuliefern. Es war um die Mittagszeit und einige Mütter holten dort gerade ihre Kinder ab. Nach dem Ausladen dauerte es keine Minute, da saß das erste Mädchen schon auf dem Sattel und wollte es mit nach Hause nehmen. Na, dann hat sich die Arbeit ja schon gelohnt.